DDR Flucht 1950er

"Sturmflut aus der Ostzone"

Mit 2 Bausteinen lernst du Fluchtgeschichten kennen. Wir zeigen dir, wie du die Gemeinsamkeit ganz unterschiedlicher Schicksale erzählen kannst.

Bearbeitungszeit ca. 45 min.
Kl. 9/10

DDR Flucht 1950er | Fluchterfahrungen

„Es kam wie eine Sturmflut“

Die Entscheidung, seine Heimat zu verlassen, ist ein tiefer Einschnitt in einem Leben. Millionen Menschen flüchteten in den 1950er Jahren aus der Sowjetisch besetzten Zone (SBZ) in den Westen Deutschlands. Die Gründe für die Flucht sind vielfältig. Der Auslöser war aber immer große Angst, oft Todesangst.

Diese Menschen brachen auf im Wissen, nicht wieder zurückkehren zu können. Sie flohen heimlich, oft ohne Abschied und nur mit dem, was sie am Leibe trugen, aus Angst, gefasst zu werden und ins Gefängnis zu gehen. Wer sich zur Flucht entschied, den erwartet eine ungewisse Zukunft irgendwo, wo ihn keiner erwartete.

Was treibt jemanden dazu, alles hinter sich zu lassen?

In dem Modul erwarten Dich 4 Arbeitsschritte.

Los geht's

Fluchtschicksale

01
Fluchtschicksale | Frau Wolff

Die massenhafte Flucht in den 50er Jahren brachte die DDR in Verruf. Die Menschen schienen das sozialistische Modell abzulehnen. Das Aufnahmeland BRD stand damit vor großen Problemen. Wohin sollten diese vielen Menschen gehen? Wie kann es mit ihnen weiter gehen?

Wer flüchtete, suchte meist zuerst ein Notaufnahmelager (NAL) auf. Die BRD richtete in den 50er Jahren drei solcher Flüchtlingslager ein, in Uelzen, in Gießen und in Berlin.

Im März 1954 flüchtete Olga Wolff aus der SBZ ins NAL Gießen. Wir wissen von ihr aus einem Dokument aus dem Aufnahmeverfahren. Wer flieht, hat triftige Gründe. In diesem Antrag lässt sich beispielhaft erkennen, warum Menschen alles hinter sich ließen und loszogen.

Aufgabe 1
Was erfährst du über das Schicksal von Frau Wolff?

  • Lies das Dokument (rechts) gründlich.

  • Ziehe die Aussagen in das je passende Feld.

stimmt
stimmt nicht
Aufgrund der Waisenrente musste sie glücklicherweise nicht arbeiten.
Das älteste Kind von Frau Wolf ist 15 Jahre alt.
Die Flucht nach Westdeutschland ist ihre dritte Flucht in den letzten 14 Jahren.
Russischen Soldaten waren im Wohnort (SA) von Frau Wolf nicht stationiert.
Frau Wolf war ausgebildete Bäuerin.
Der Ausschuss beriet über die Aufnahme erst drei Monate nach Einreise von Frau Wolf in die BRD.
Wilhelm ist noch keine 10 Jahre alt.
Frau Wolf floh über von Rumänien (Bessarabien) über Polen (Warthgau) nach Sachsen (SA).
Zum Zeitpunkt des Antrages war Frau Wolf fast 42 Jahre alt.
Familie Wolff hielt sich etwa 3 Monate im NAL Gießen auf.
Frau Wolf war lediglich mit ihren Kindern in der FDJ, aber ansonsten nicht politisch organisiert.
Von Antragstellung bis Aufnahmeentscheid verging im Falle von Frau Wolff nur etwa 1 Woche.
Helga und Arthur sind Zwillinge.
Ihr Mann ist seit 1944 Kriegsgefangener Litauen.
Arthur ist 13 Jahre alt.

Das war nicht ganz richtig. Du hast noch3Versuche!

Das war nicht ganz richtig. Du hast noch2Versuche!

Das war nicht ganz richtig. Du hast noch1Versuche!

Das war leider auch nicht richtig. Schade!

Prima! Alles richtig gelöst!

Das ist die richtige Antwort.

Fluchtschicksale | Fluchtmotive

Menschen fliehen aus ganz unterschiedlichen Gründen. Sie fliehen etwa aus persönlichen, aus wirtschaftlichen oder sie fliehen aus politischen Gründen. Selten war es nur ein einzelnes Motiv. Auch haben unpolitische Gründe oft ihren Ursprung im politischen System von Zwang und Gewalt. Eine Zuordnung der Motive erweist sich also als nicht einfach.

Aufgabe 2
Wie beurteilst du die Motive von Frau Wolff?

  • Ziehe die einzelnen Aussagen auf das deiner Meinung nach korrekte Feld.

eher politischer Grund:
eher wirtschaftlicher Grund:
eher persönlicher Grund:
eher Ablehnung der Ideologie:
In der SBZ habe sie sich der landwirtschaftlichen Arbeiten nicht mehr gewachsen gefühlt.
Frau Wolf sei durch die Russen dauernd belästigt worden.
Sie sei nach dem Tod ihres Ehemannes mit ihren vier Kindern völlig auf sich alleine gestellt gewesen.
Sie habe als Heimatvertriebene nicht verantworten können, ihre Kinder der FDJ beitreten zu lassen.
Fluchtschicksale | Aufnahmeentscheidung

Die BRD versucht bei der riesigen Zahl an Flüchtlingen eine Ordnung zu bekommen. Der verbindliche Umgang mit unklaren Situationen regeln in einer Demokratie Gesetze. 1950 wurde daher das „Notaufnahmegesetz“ erlassen. Es besagte, dass nur aufgenommen werden darf, wer als politischer Flüchtling anerkannt wurde und nicht geflohen war aus persönlichen oder aus wirtschaftlichen Gründen. Eine Beurteilung nahm ein Aufnahmeausschuss in einer Befragung vor.

Aufgabe 3
Was glaubst du, wie hat sich der Aufnahmeausschuss im Falle von Frau Wolff entschieden? Welches Urteil erwartest du, und warum?

  • Erkläre deine Vermutung in 3-4 Sätzen

Wörter mind.
0/30
Fluchtschicksale | Aufnahmeentscheid

Im zweiten Teil des Dokuments begründet der Ausschuss seine Entscheidung. Frau Wolff wird nicht als politischer Flüchtling anerkannt.

Aufgabe 4

  • Lies die Begründung für diese Entscheidung zuerst aufmerksam durch.

  • Hast du diese Entscheidung erwartet? Ziehe den Slider an die entsprechende Stelle.

  • Erkläre in 2-3 Sätzen, inwieweit deine Erwartung und die Entscheidung übereinstimmen. Ziehe dazu das Aufnahmekriterium des Notaufnahmegesetzes heran.

  • Wie beurteilst du das Aufnahmeverfahren? Für wie zuverlässig hältst du das Verfahren? Begründe deine Position in 3-4 Sätzen.

Entscheidung des Ausschusses, Frau Wolf
nicht als politischen Flüchtling anzuerkennen.

eher erwartet eher unerwartet
Fluchtschicksale | Weiterleben

Dass Witwen nicht als Flüchtlinge anerkannt wurden, kam besonders häufig vor. Offensichtlich wurden sie eher als eine Belastung für die BRD betrachtet. Die Historikern van Laak hat diese Entscheidungspraxis analysiert. In ihrer Untersuchung zum NAL Gießen führt sie ein Beispiel an, dass im Gegensatz dazu gut ausgebildete Männer auch ohne ausreichende Begründung als politischer Flüchtling erheblich leichter anerkannt wurden.

Als deutsche Bürgerin wird Frau Wolf zwar nicht zurückgeschickt, sie darf in der BRD bleiben. Aber für einen Neuanfang erhält sie keine finanzielle Unterstützung. Die Fantasie reicht nicht aus, sich vorzustellen, wie es ist, alles zu verlieren. Flucht ist kein Abenteuer. Was zurückgelassen wird, ist für immer verloren. Sie fing neu an, mit nichts.

Frau Wolff musste mehrfach fliehen. Es wäre aber falsch anzunehmen, Flüchtlinge wären ihrem Schicksal ganz ausgeliefert, denn es „zeigt sich, dass Flüchtlinge in ihrer Bedrängnis und in ihrer Angst geradezu erstaunliche Fähigkeiten entwickeln, sich auf neue Umstände einzustellen“, schreibt der Historiker Andreas Kossert, der sich mit Fluchtschicksalen eingehend beschäftigt hat. 1954 geht Frau Wolf nach Baden-Württemberg, um sich ein neues Leben aufzubauen.

Für sie ging es nun darum, in einer Gesellschaft zurechtzukommen, in der man nicht nur auf Anteilnahme traf, sondern nicht selten auch auf Misstrauen, Unverständnis und Ablehnung. Viele Flüchtlinge machten diese Erfahrung. Rechts ist ein Text über Frau Wolff, wie ihr Leben weiter ging. Geschrieben wurde der Text von Dr. Sandra Wolff, ihre Enkelin. Sie ist heute Historikerin. Sie lehrt an der Universität Tübingen und bildet Lehrkräfte aus.

Aufgabe 5

  • Lies den Text rechts über Frau Wolff, wie sie in der BRD ihr Leben gestaltete.

  • Markiere im Text Passagen,, die besonders aussagekräftig darüber sind, wie Frau Wolff ihr Leben bewältigte.

Aufgabe 6

  • Bringe dieses Fluchtschicksal auf den Punkt. Nimm folgende Situation an: Du bist Archivar in einem Archiv und erstellst einen Eintrag in einem Findbuch. Mithilfe eines Findbuches recherchieren Historiker geeignete Quellen. Es enthält eine kurze Inhaltsbeschreibung des Archivals, des Umfangs sowie Hinweise auf besondere Inhalte und in der Regel auch Informationen über die jeweilige Herkunftsgeschichte. Schreibe diese 3 Sätze.

Wörter mind.
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1 ×

Ein Titel könnte lauten: ...

Material

Text der ersten beiden Absätze ohne Kopfdaten:

"Die Antragstellerin ist Heimatvertriebene. Ihr Ehemann ist in Litauen gefallen. Nach ihrer Umsiedlung aus Rumänien im Jahre 1940 in den Warthegau, wurde sie 1945 von dort ausgesiedelt und in Lübars wieder angesiedelt. Sie arbeitete hier aushilfsweise in der Landwirtschaft und bezog für jedes ihrer Kinder DM 35,– Waisenerente. Politisch organisiert war sie nicht. Sie kam am 5.3.1954 legal in das Bundesgebiet.

Sie trägt vor, daß sie während ihrer Aussiedlung aus dem Warthegau Schweres durchgemacht habe. Sie sei nach dem Tode ihres Ehemannes mit ihren vier Kindern völlig auf sich allein gestellt gewesen. In der sowjetischen Besatzungszone habe sie sich den landwirtschaftlichen Arbeiten nicht mehr gewachsen gefühlt. Außerdem habe sie es als Heimatvertriebene nicht verantworten können, ihre Kinder der FDJ beitreten zu lassen. Ferner sei in der Nähe ihres Wohnortes ein großer russischer Truppenübungsplatz stationiert gewesen, dessen dauernde Bedrohung empfunden worden sei."

Geschichte von Frau Wolff:

Nach einem kurzen Aufenthalt in einem der drei sogenannten Durchgangslager in Baden-Württemberg, hier das Lager Ludwigsburg, kam Olga Wolff mit ihren vier Kindern in das Flüchtlingslager St. Johann und Haid auf der Eninger Weide im Kreis Reutlingen. Dieses Lager aus verschiedenen Baracken wurde in den 1930iger Jahren errichtet, diente kurzzeitig als „SA-Geländesportschule“ bzw. Polizeiausbildungslager und nach dem Krieg zur Unterbringung von Flüchtlingen und Vertriebenen. Dort wurde der Familie ein Zimmer zugewiesen, in dem sie von April 1954 bis Juli 1957 auf engstem Raum lebte. Die Kinder konnten glücklicherweise nach kurzer Zeit in die Schule nach Eningen gehen, die sie in der Regel durch einen kilometerlangen Fußmarsch die Schwäbische Alb herunter und dann wieder hinauf erreichten.

Um selbst zur Versorgung ihrer Kinder beizutragen, führte die Mutter Olga den Haushalt eines Arztehepaares in Reutlingen. Auch der älteste Sohn Artur begann bereits mit 14 Jahren zu arbeiten, damit die jüngeren Geschwister auf weiterführende Schulen gehen konnten.

Anfang Juli 1957 fand die Familie dann in Metzingen eine neue Heimat. Dort lebte Olga Wolff in einer Wohnung mit ihren Kindern, später dann lange mit den Töchtern und einer Enkelin. Sie kümmerte sich bis zu ihrem Tod 1993 immer rührend um ihre Familie, besonders die vier Enkelkinder. In Gesprächen spielte die Erinnerung an die frühere Heimat in Bessarabien, die zweifache Fluchterfahrung während des Krieges sowie die dritte Flucht aus der DDR, aber vor allem das Leben in den Lagern noch Jahrzehnte später eine große Rolle.

Fluchtschicksale

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Grenze der Belastung

Die Grenze der Belastungen

DDR Flucht 1950er | Baustein 02

Die Grenze der Belastungen

Jede einzelne Flucht gibt nur eine persönliche Perspektive wieder. Sie ist ein kleiner Teil einer großen Fluchtgeschichte. Dennoch erkennt man in diesen Einzelschicksalen die Fluchterfahrung, die alle gemeinsam teilen. Was für Erfahrungen sind das?

In dem Modul erwarten Dich 2 Arbeitsschritte.

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Grenze der Belastung

02
Grenze der Belastung | Herr Beschke

Helmut Beschke erzählt von seiner Flucht. Er schrieb sie im Rückblick auf. Sie ist ganz anders als die von Olga Wolff, und dennoch haben sie viel gemeinsam.

Aufgabe 1

  • Lies die Geschichte von Helmut Beschke einmal aufmerksam durch

  • Welche Stimmung herrschte in der DDR? Markiere 4 Begriffe, von denen du glaubst, sie geben sie am ehesten wieder.

misstrauisch – verdächtig – unsicher – zweifelnd – vorsichtig – wachsam – kontrollierend – verraten – ungewiss – unübersichtlich – ausgeliefert – ohnmächtig – instabil – gehemmt – beunruhigend – gefährlich – bedenklich – bedrohlich – riskant – hoffnungslos – überfordernd – gewalttätig

Aufgabe 2

  • Entscheide dich für 2 deiner 4 markierten Begriffe. Kommentiere diese beiden Begriffe in 2 Sätzen unter folgender Frage. Woran erkennst du diese Stimmung in der Quelle?

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Aufgabe 3
Warum fiel Herrn Beschke die Entscheidung zur Flucht lange so schwer?

  • Markiere farbig Hinweise im Text, die Auskunft darüber geben, warum er gezögert haben könnte.

Was ändert sich so sehr, dass Herr Beschke Hals über Kopf die DDR verlässt?

  • Schreibe diese Veränderung in 3-4 zusammenhängenden Sätzen auf.

Wörter mind.
0/30
Grenze der Belastung | Zwei Schicksale

Jede der beiden Fluchtgeschichten von Frau Wolff und Herrn Beschke hat seine Dramatik. Sie sind ganz unterschiedlich und ähneln sich dennoch. Beide stehen beispielhaft für Entscheidungen unter Zwang; beide stehen beispielhaft für Angst, vor dem was ist, und Angst, vor dem, was kommt.

Aufgabe 4
Was verbindet die beiden Fluchtgeschichten, was trennt sie?

  • Schreibe in 10 Sätzen auf, wie die beiden Fluchtschicksale zusammenhängen. Greife auch auf deine bisherigen Ergebnisse zurück. Du kannst einer der folgenden Bezugspunkte ins Zentrum stellen.

Herkunft – Zukunft – Weggang – Endlosigkeit
Ungewissheit – Heimat – Verlust

Schreibtipp

Wörter mind.
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Beispieltext zum Thema Angst.

Beiden Geschichten ist anzusehen, wie die Akteure Angst durchleben. Beiden scheinen sie über Jahre hinweg täglich begleitet zu haben.

Herr Beschke erträgt anscheinend lange Zeit die Angst. Er erträgt sie vermutlich auch, weil seine Frau nicht für eine Flucht bereit ist. Der Auslöser, d.h. die Wahrscheinlichkeit, Gewalt auf Befehl ausüben zu müssen, ist aber so hoch, dass er sogar zunächst seine Familie zurücklässt.

Frau Wolff dagegen hat eine sehr lange Leidensgeschichte hinter sich. Sie scheint vor allem Angst um ihre Kinder zu haben, die sie schützen möchte und nicht vereinnahmen lassen will. Zudem dürfte ihr Angst täglich spürbar gewesen sein, wenn es nicht klar war, wie sie ganz auf sich allein gestellt eine Familie ernähren sollte.

Material

Q1: Helmut Beschke: Flucht aus der DDR 1953 (Text verfasst 2012 in Hanau)

Pfingsten [1953] stand kurz bevor, ich fuhr zufällig eines Tages mit der Straßenbahn zum Dienst, da stand im Wagen neben mir eine Kollegin von Jenapharm, von der ich nur wusste, dass sie in der Zentrale einen wichtigen Verwaltungsposten hatte, nur als elegante, attraktive Frau war sie mir immer aufgefallen. Sie sprach mich leise an und erklärte mir, als ehemaliger Offizier sei ich von der Betriebsleitung vorgesehen, die Betriebskampfgruppe zu leiten. Man befürchte Aufstände, und dagegen solle die Betriebskampfgruppe eingesetzt werden. Das war der erste und einzige Kontakt mit dieser Frau, der ich für ihren Mut großen Dank schulde.

Blitzartig war mein Entschluss gefasst. Ich musste sofort in den Westen, so schnell wie möglich. Nie wieder schießen, schon gar nicht auf diejenigen, die so denken wie ich. Ich beantragte Pfingsturlaub ab sofort, bekam ihn, und am folgenden Tag nahm ich Abschied von meiner ganzen bisherigen Existenz.[...] Die ganze Stimmung im Lande steigerte sich zu einer schon fast greifbaren Entladung, und mit derselben Brutalität, die zur Vertreibung oder Ermordung der Gutsbesitzer und Großbauern geführt hatte, und der wir auch die Verschleppung der Offiziere zu [ver]danken hatten, diese Brutalität würde unter Aufständischen ein Blutbad herbeiführen. Und ich sollte das Kommando zum Schießen geben?

Nein. Wir, das heißt Evchen, Natchen und ich, hatten in der letzten Zeit ein zurückhaltendes Leben geführt. [...] So hatten wir uns ein Gegengewicht gegen den Phrasenschwall und die verlogenen Aktionen der sozialistischen Umwelt geschaffen. Doch die Grenze der erträglichen Belastungen war nun überschritten, ich musste fort. So schnell wie möglich. Evchen [...] war nicht in der Lage, innerhalb einiger Stunden so schwerwiegende Entscheidungen zu treffen. Ich ließ ihr Zeit, wir vereinbarten nur, dass ich ein Telegramm aus Westberlin mit unverfänglichem Inhalt schreiben würde. Am nächsten Morgen machte ich mich für die Fahrt bereit, ich nahm nur eine Aktentasche mit. [...]

Mit der Bahn fuhr ich nach Berlin. Die Fahrkarte hatte ich bis Waren an der Müritz gelöst, damit nicht Berlin als verräterisches Endziel genannt war. Der Zug offensichtlich voller Flüchtlinge. Ängstliche Gesichter, volle Aktentaschen. Ich hatte zum Selbstschutz das SED-Parteiabzeichen angesteckt. Alle beäugten mich misstrauisch. Kontrollen gab es nicht. In Berlin nahm ich die U-Bahn von Mitte nach Nord, Station Gesundbrunnen lag in Westberlin, dort dann mit der S-Bahn in Westrichtung. Keine Kontrollen. In Zehlendorf dann eine Adresse: Auerhahnbalz 5. Der Besitz entfernter Verwandtschaft. Die Mieter gottlob voller Verständnis. Dann zum Funkturm, dort die Flüchtlingszentrale. Ein Laufzettel mit 30 Adressaten, der mich noch vier Wochen lang beschäftigen würde. Dann kam ich zur Ruhe und schickte ein Telegramm: Tante Berta gesund.

Beschke, Helmut: Flucht aus der DDR 1953, in: LeMO-Zeitzeugen, Lebendiges Museum Online, Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland,

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